Habe ich ADHS? Chancen und Risiken einer Selbstdiagnose

»Ich bin ständig unruhig, kann mich nicht konzentrieren und vergesse dauernd etwas. Habe ich vielleicht ADHS?« Fragen wie diese stellen sich viele. Und sie sind durchaus berechtigt. Denn ADHS ist in der allgemeinen Wahrnehmung immer noch etwas Mysteriöses, geradezu Mystisches. Einerseits hochgradig stigmatisiert, treten andererseits gefühlt täglich B-Promis vor die Kamera und verkünden, ADHS zu haben. Meist folgt dann noch ein Satz der Sorte: »Und deshalb fasst mich gefälligst mit Samthandschuhen an!« Was das eine mit dem anderen zu tun hat, wissen sie wahrscheinlich selbst nicht so genau. Nur eines ist sicher: Zur Aufklärung und Entstigmatisierung tragen solche zweifelhaften Outings sicherlich nicht bei.

Kann man ADHS selbst diagnostizieren?

Nein, man kann nicht bei sich selbst ADHS diagnostizieren. Das können nur Fachleute mit psychiatrischem oder psychologischem Hintergrund und intensiver Weiterbildung zum Thema. Die allerdings sind äußerst rar. Einen Termin bei ihnen zu bekommen, kann Monate dauern. Die Wartelisten sind lang. Und der Leidensdruck nimmt zu. Wer auf die Liste(n) will, hat mit ziemlicher Sicherheit schon Online-Selbsttests gemacht und glaubt daher jetzt zu wissen, ADHS zu haben. Da ist es nur logisch, dass sie alle lieber heute als morgen aktiv werden, vielleicht auch die Medikamente verschrieben bekommen wollen, von denen sie »auf Social Media ja nur Gutes gehört« haben. Und überhaupt die ungezählten Legenden rund um ADHS, die vielen Halbwahrheiten – auch die wollen sie endlich richtig einordnen können. Allein, es bleibt ihnen mangels Diagnose erst einmal verwehrt. Ein Teufelskreis!

Was bringen Online-Tests bei ADHS-Verdacht?

Was taugen die vielen Fragebogen überall im Internet also, wenn einem die Hände gebunden bleiben? Bringen sie alles nur noch mehr durcheinander und führen gar auf Abwege? Lassen sie einen am Ende womöglich glauben, betroffen zu sein, obwohl das überhaupt nicht stimmt? Schließlich hat ja jeder Mensch ADHS-Symptome. Aber lange nicht jeder hat auch ADHS! Die Antwort ist ein klares Jein: Ja, sie können ein guter Hinweis sein, ein starkes Indiz. Und nein, sie beweisen überhaupt nichts. Dafür sind die Fragen oftmals viel zu suggestiv – nicht wirklich ideal, wenn man bedenkt, mit welchen Erwartungen im Hinterkopf sie beantwortet werden!

Auf starke Indizien hören

Um derlei negative Effekte halbwegs zu kompensieren, ist es eine gute Idee, einzelne ADHS-Tests mehrfach zu machen, und zwar an unterschiedlichen Tagen und zu verschiedenen Tageszeiten, um bloße Momentaufnahmen zu vermeiden. Denn auch hier gilt wie so oft im Leben: Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte! Ist die Richtung beim dritten, vierten, fünften Durchgang aber immer noch eindeutig, muss eine professionelle Diagnose her.

Wie kann man die langen Wartezeiten bis zur ADHS-Diagnose überbrücken?

Die Wochen oder Monate vor dem ersehnten Termin können Betroffene durchaus für eine regelmäßige und ehrliche Selbstreflexion sinnvoll nutzen:

  • Wie war das noch mal genau in der Schulzeit? Wie habe ich in Situation A reagiert? Was habe ich da eigentlich genau gefühlt?
  • Gibt es irgendwelche Hinweise auf ADHS-typisches Verhalten auf meinen Grundschulzeugnissen?
  • Kommt ADHS oder eine Krankheit, die damit verwechselt werden könnte, in meiner Familie vor?
  • Wann treten bestimmte Verhaltensweisen genau auf?

Tipp: Führen Sie ein ADHS-Tagebuch. Und legen Sie es nachts unbedingt direkt neben Ihr Bett, um auch nach dem Aufwachen sofort drauflosschreiben zu können. Einen besseren Zeitpunkt für einen Zugang zu Vergessenem, zu tief Vergrabenem, zu Unbewusstem eben, gibt es kaum.