Verwechslungsgefahr: Warum ADHS oft gar nicht oder falsch diagnostiziert wird

»ADHS? Das hat doch heute jeder!« Das zumindest glaubt ein Großteil derjenigen, die mit der Beeinträchtigung gar nichts zu tun hat. Doch die Realität ist eine ganz andere: ADHS ist unterdiagnostiziert, insbesondere bei Erwachsenen. Waren sie in der Kindheit nicht als »Zappelphilipp« aufgefallen, hatten also »nur« Probleme mit ihrer Motivation und Konzentration, erhielten sie in der Regel auch keine Diagnose. Später im Erwachsenenalter bringen sie ihre Schwierigkeiten dann erst recht nicht mehr mit ADHS in Verbindung. »Das haben doch nur Kinder!«, lautet das typische Vorurteil, nicht nur unter Laien.

Warum wird ADHS oft nicht diagnostiziert?

Der Grund für die zahlreichen Fehleinschätzungen ist geradezu trivial: Die Symptome einzelner psychischer und neurologischer Krankheiten unterscheiden sich nur in Nuancen. So kann es passieren, jahre- oder gar jahrzehntelang gar nicht behandelt zu werden oder eben – was noch viel schlimmer ist – falsch! »Antriebslos? Keine Konzentration? Keine Ausdauer? Sozialer Rückzug? Ganz klar: Das muss eine bipolare Störung sein. Ich schreibe Ihnen da mal was gegen auf.« So oder so ähnlich dürfte es regelmäßig in Arztpraxen ablaufen. Doch die Medikamente können überhaupt nicht wirken, treten sie doch gegen eine Krankheit an, die gar nicht vorliegt. Nur interessiert das bei der Behandlung niemanden: »So ist das eben mit Antidepressiva: Manche wirken, manche nicht. Dann probieren wir halt was anderes …« Und beim Probieren bleibt es vielfach. Es ist wie das Spinnennetz auf dem Bild: ein undurchdringliches, irreführendes Wirrwarr. Der Grund für die zahlreichen Fehleinschätzungen ist übrigens geradezu trivial: Die jeweiligen Symptome unterscheiden sich nur in Nuancen. Aus diesem Grund wird ADHS auch gern mal als Borderline fehldiagnostiziert. Denn emotionale Instabilität und Impulsivität »passen« schließlich genauso gut zu einer Persönlichkeitsstörung …

Hochbegabt oder doch nur hyperaktiv?

In eine ähnliche »Falle« können Menschen mit Ängsten oder einer sozialen Phobie geraten. Das kann eine Angststörung sein, aber eben auch ADHS. Auf die vermeintliche »Kinderkrankheit« tippen nach der Anamnese dennoch die wenigsten; soziale Schwierigkeiten, Impulsivität und Reizempfindlichkeit werden vielfach sogar lieber als Autismusfolgen eingestuft, vor allem bei Mädchen und Frauen. ADHS wird hingegen selten als Erstes vermutet. Oder nehmen wir Lernschwierigkeiten: Die sind wirklich typisch für ADHS. Und dennoch steht bei Kindern am Ende eher Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) oder Dyskalkulie (Rechenschwäche) in der Krankenakte. Manchmal wird daraus sogar eine nicht vorhandene Hochbegabung! Und bei Erwachsenen mit vergleichbaren Symptomen glaubt man lieber an eine Posttraumatische Belastungsstörung als an ADHS, selbst wenn für eine PTBS überhaupt keine Ursache infrage kommt, die daher auch nicht identifiziert werden kann.

Wie kann ADHS objektiv diagnostiziert werden?

Anders als psychische Krankheiten kann ADHS als neurologische Störung – theoretisch! – vollkommen objektiv festgestellt werden, also nicht nur über eine Ausschlussdiagnose. Eine Kernspin- oder Computertomografie nämlich kann genau die Hirnareale sichtbar machen, die bei Betroffenen verändert sind. In der (Grundlagen-)Forschung passiert das regelmäßig. Doch für die tägliche Praxis taugt der Ansatz leider nicht, weil er sich einfach nicht finanzieren lässt. Mit einer gewöhnlichen Blutuntersuchung sähe schon das ganz anders aus. Einen entsprechenden Biomarker gibt es derzeit allerdings noch nicht.