Die Forschung ist sich inzwischen weitgehend einig: ADHS bekommt man nicht, ADHS hat man.
Ist ADHS vererbbar?
»Es handelt sich bei ADHS um eine der am stärksten genetisch determinierten psychiatrischen Erkrankungen«, heißt es dazu in einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit der Universität Mannheim. Und weiter: »Umwelteinflüsse in Form von individuell-spezifischen, nichtgeteilten Besonderheiten erklären lediglich 20 Prozent der phänotypischen Merkmalsausprägungen.« Hat eine Mutter oder ein Vater ADHS, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder ebenfalls betroffen sind, zwei- bis achtfach erhöht. Haben es beide Elternteile, erfolgt bei 80 bis 90 Prozent eine Weitergabe an den Nachwuchs; eine Vererbung ist also beinahe garantiert. In Erbgutstudien zeigte sich folgerichtig, dass bei ihnen die sogenannte polygenetische Last signifikant erhöht ist.
Welche Rolle spielt die Umwelt bei ADHS?
Rauchen und Alkohol in der Schwangerschaft sowie Umweltgifte steigern das Risiko zusätzlich. Sie sind zwar keine Ursache im eigentlichen Sinne. Zwillingsstudien belegen allerdings, dass Schadstoffe in der Luft, zum Beispiel Feinstaub, das Zünglein an der Waage sein können. Vereinfacht gesagt: Haben beide Zwillinge eine genetische Veranlagung für ADHS und ein Zwilling lebt in einer stark belasteten Region, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie oder er ADHS-Symptome entwickelt, erheblich höher als bei dem anderen in einer »sauberen« Gegend. Ohne die entscheidenden Genveränderungen aber wird durch Umweltgifte die Störung eben nicht ausgelöst, wie immer wieder kolportiert wird. Darauf wies etwa das Umweltbundesamt schon 2018 hin. Fachleute sprechen hier von einer Gen-Umwelt-Interaktion.
Gibt es ein ADHS-Gen?
Das eine ADHS-Gen gibt es indes nicht. Die Kombination ist entscheidend. Die dänische ADHS-Spezialistin Prof. Dr. Ditte Demontis identifizierte zusammen mit einem internationalen Forscherteam bei Menschen mit ADHS zwölf Regionen in ihrem Erbgut mit sogenannten Einzelnukleotid-Polymorphismen, Mutationen also. Die einen sind wichtig für den Spracherwerb, der ja bei Betroffenen häufig verzögert ist, andere für die grundsätzliche Entwicklung des Gehirns, die neuronalen Vernetzungen und für den Intellekt eines Menschen. Eines beeinflusst sogar direkt die Konzentration von Dopamin in den Synapsen: ADHS-Medikamente setzen schon lange genau hier, beim »Glückshormon«, an.
Rund ein Fünftel der genetischen Einflüsse könnten mit den Erkenntnissen erklärt werden, vermuten die Autorinnen und Autoren der Studie – ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg, ADHS vollständig zu verstehen und effektiv behandeln zu können.