Die moderne Hirnforschung ist sich einig: ADHS ist alles andere als eine Modediagnose und erst recht keine Einbildung. Doch über die genaue Ursache streitet die Wissenschaft noch immer leidenschaftlich. Dopaminmangel allein, so viel scheint klar, ist offenbar nicht die Ursache, obwohl das Glückshormon natürlich eine erhebliche Rolle spielt. Fehlt es, werden Betroffene üblicherweise antriebslos – gut zu beobachten bei Menschen mit Depressionen und eben mit ADHS des unaufmerksamen Typs. Das äußert sich dann durch Konzentrations- und Motivationsschwierigkeiten oder leichte Ablenkbarkeit. Doch auch im umgekehrten Fall, also beim impulsiv-hyperaktiven Typ, ist der Botenstoff durchaus mitverantwortlich. Der Grund ist vereinfacht gesagt: Wer ADHS hat, kompensiert psychische Tiefs anders: hyperaktiv oder hyperfokussiert eben. Unruhe und Co. sind die Folge. Inzwischen ist in Fachkreisen indes klar: Es spielen noch ganz andere Faktoren eine erhebliche Rolle.
Welche Gehirnbereiche sind bei ADHS betroffen?
Bei ADHS sind maßgeblich der präfrontale Kortex und tiefere Gehirnregionen betroffen. Ihre Kommunikation ist häufig signifikant gestört. Diese Bereiche sind federführend bei Verhaltenssteuerung, Planung, Entscheidungsfindung und Konzentration. Zudem zeigen sich strukturelle Auffälligkeiten, volumengeminderte Sektoren beispielsweise. Das belegt eine groß angelegte Studie von US-Hirnforscher Dr. Luke Norman. Zusammen mit seinem Team hatte der Wissenschaftler 8.000 MRT-Bilder, also Hirnscans, genau unter die Lupe genommen und erkannt: Betroffen sind genau die Bereiche, die das Verhalten eines Menschen prägen, ihn planen und entscheiden lassen – oder sich konzentrieren. Dr. Katya Rubia, Professorin für Neurowissenschaften, hatte eine ähnliche Vermutung bereits vor über 20 Jahren veröffentlicht, war aber auf vergleichsweise wenig Interesse gestoßen.
Kleinere Hirnvolumen und motivierende Hirnwellen
Informationen sozusagen vorzusortieren, bevor sie verarbeitet werden, ist mit ADHS schwierig bis unmöglich. Das persönliche Umfeld deutet das gern als harmlose Zerstreutheit. Doch dahinter steckt ein nicht funktionierender Filter, neurologisch nachweisbar! Schon vor Jahren trug Dr. Samuele Cortese, Professor für Psychiatrie an der Universität Southampton, in einer Metastudie die Gründe dafür zusammen: strukturelle Auffälligkeiten in Form von volumengeminderten Sektoren in „typischen“ ADHS-Gehirnen. Zahlreiche Untersuchungen bestätigten dies später.
Und dann ist da noch die Sache mit den Frequenzen: Bestimmte Gehirnwellen sind insbesondere bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen mit ADHS stärker vorherrschend als bei Menschen ohne die Störung. Im EEG, das die elektrische Aktivität des Gehirns misst, ist das in der Regel klar zu erkennen. Mit sogenanntem Neurofeedback wird daraufhin versucht, manipulierend einzugreifen. Die Methode ist höchst umstritten. Der Kognitionswissenschaftler Dr. Sam Westwood, Dozent am King’s College in Deutschland, jedenfalls will sie nicht empfehlen. Denn es gebe keine Belege für ihre Wirksamkeit, heißt es in einer aktuellen Studie, an der er federführend beteiligt gewesen ist.